Rettet die Regionalmarke den ländlichen Raum?
Landwirtschaft
Landwirtschaft und Handwerk für den ländlichen Raum
Reicht ein bisschen Eifelmarketing, um über die
Verbraucher die Wertschöpfung in der Region zu behalten? Finden Landwirte,
Metzger und Bäcker neue Absatzwege, um ihr Handwerk dauerhaft gegen den
Strukturwandel behaupten zu können?
Darum ging es in Berlin auf einer gemeinsamen Tagung
der Deutschen Vernetzungsstelle im ländlichen Raum (dvs), des Zentralverbandes
des Deutschen Handwerks (ZDH) und des Deutschen Bauernverbandes (DBV).
Regionale Schätze
Die Verarbeitungs- und Handelsstufe steht mittlerweile
außerhalb der Landwirtschaft und konzentriert sich durch den Strukturwandel.
Regionale Schätze wie seltene Obst- und Gemüsesorten oder Reben gehen dabei verloren.
In Oberfranken gibt es noch über 100
Wirtshausbrauereien, über 700 lokale Metzger, 5.000 Betriebe der Gastronomie
und zahlreiche regionale Schlachthöfe. Einige Biersorten sind nur zwei oder
drei Monate haltbar und müssen frisch genossen werden. solche Produkte haben in
den Regalen der Supermärkte keine Chance. Viele Bäcker haben so spezielle
Rezepte, dass die Leckereien schon einen Ort weiter nicht mehr bekannt sind:
Weil sie nicht werben, erläutert Dr. Bernd Sauer von der Handwerkskammer
Oberfranken.
Das aber sind hervorragende Bausteine für die lokale
Wertschöpfungskette: Der Erzeuger mit Geschichte, ein identitätsstiftendes
Kulturprodukt, eines mit Mehrwert, den der Kunde auch entlohnt.
In Oberfranken wurde genau dieses Motiv in Fotos und
Brauereiwege für den überregionalen Tourismus erfolgreich umgesetzt. Ein
Biergartenführer lockt Menschen in Gegenden, an denen sie sonst vorbeiführen.
Daraus hat sich die Genuss-Region Oberfranken entwickelt. Ein Verein, der seit
zwei Jahren Partner im gesamten Handwerk sucht. Die teilnehmenden Betriebe
werden nach eigenen Regeln zertifiziert.
Mittlerweile ist die Genuss-Region zu einem
LEADER-Projekt geworden und hat die Aufmerksamkeit des bayerischen
Landwirtschaftsministeriums erweckt, das Chancen für die Entwicklung der
landwirtschaftlichen Betriebe sieht.
„Stolz auf Holz“
Das „Netzwerk Forst und Holz Bayerischer Wald“ hat sich
auf ein Produkt spezialisiert. Holz ist für Bayern ein wichtiger
Wirtschaftssektor. Nach EDV, Maschinen- und Fahrzeugbau folgt der Sektor Forst
und Holz auf Platz vier der Beschäftigtenliste. Gegenüber den anderen Branchen
ist die Holzindustrie sogar flächendeckend aufgestellt.
Der bayerischen Clusterpolitik gemäß vernetzen sich
Waldbesitzer, Sägewerke, Verarbeiter und Händler zwischen und außerhalb der
Regionen, um eine maximale Wertschöpfung zu erreichen. „Der Erfolg ist dann
nicht mehr aufzuhalten“, erläutert Alexander Schulze vom Netzwerk. Auf der
Erfolgsliste stehen das wachsende Vertrauen der Betriebe in das Netzwerk, der
Informationsaustausch auf den Plattformtreffen und die intensivere Wahrnehmung
des Rohstoffes Holz bei Politik und Verbrauchern.
Wachsende Komplexität
Auch die Eifel GmbH hat sich vorgestellt. Das
Vorgängermodell „Regionen aktiv“ war noch speziell auf Landwirtschaft und
Direktvermarktung ausgerichtet. Nach Markus Pfeifer von der Regionalmarke Eifel
war das die Initialzündung für die Region und die Betriebe. Die
Zukunftsinitiative Eifel als Nachfolgemodell hat sich komplexeren Inhalten
zugewandt. Sie kümmert sich um die ganze Wertschöpfungskette und vernetzt
Erzeuger, Verarbeiter und Händler. Und dabei treten Probleme auf, die vorher
nicht auf der Rechnung standen.
Noch zwei Jahre lang wollen die Akteure sich um den
Wertstoff Holz bemühen. Bislang hat keine Ansatz dazu geführt, Forstbesitzer
und Sägewerke ins gemeinsame Boot zu holen. Erst ein einziges Projekt für
Außenfassade wurde realisiert. Da in der Eifel kein Spanplattenwerk vorhanden
ist, sind Parkettböden nicht im Programm. Auch die einzige noch in der Eifel
vorhandene Mühle konnte nicht für das Projekt gewonnen werden. Das
Eifelgetreide wird jetzt in Köln-Deutz gemahlen.
100 Prozent aus der Region ist kaum zu halten, wenn die
Entfernungen im ländlichen Raum zunehmen. Derzeit laufen die Projektleiter den
Bäckereien hinterher, das Eifelmehl zu verarbeiten. Ziel: Je mehr Bäcker sie
finden, desto mehr Getreide wird angebaut, desto eher engagiert sich auch die
Mühle in der Eifel.
Auch „Bio“ ist in der Eifel gefloppt. Menge und
Verbraucher passten nicht zusammen. Regionale Produkte lassen sich besser
vermarkten, erläutert Pfeifer. Erfolge gibt es auch in der Gastronomie. Lokale
Metzger gibt es in der ganzen Region, so dass die Wirte nicht mehr zum Cash und
Carry – Markt müssen.
Grenzen der Regionalmarken
Seit Jahren kämpft der ländliche Raum um
Aufmerksamkeit. Die ärztliche Versorgung schwindet mit dem demographischen
Wandel, Schulen schließen, die Infrastruktur wird teurer und Arbeit gibt es kaum.
Die Umkehr kann nur vor Ort gelingen, wenn das Handwerk sich zusammenschließt
und Werte erzielt, die auch in der Region verbleiben. Die Beispiele aus
Oberfranken, Bayern und der Eifel gehören nach eigener Einschätzung zum oberen
Drittel der Regionalinitiativen. Doch sind die Regionalmarken so
unterschiedlich, dass ein Vergleich kaum möglich ist.
In den Grundzügen aber zeigte die Tagung die Grenzen
der Entwicklung auf. Die Regionalmarke wird den Strukturwandel auf dem Land
nicht aufhalten oder gar umkehren können, so Pfeifer: „Wir werden die
Landwirtschaft nicht retten, tragen aber einen Teil dazu bei!“
Generell dürfe man die Vorlaufzeit nicht unterschätzen.
Für Fleisch und Wurst hat die Eifel GmbH zweieinhalb Jahre, für Brot zwei Jahre
gebraucht, die Kette zusammenzubringen. Begründet ist die Vorlaufzeit vor allem
in dem hohen Abstimmungsbedarf zwischen den Akteuren, die bei einem
Zusammenschluss zunächst die Mitbewerber fürchten. Die Praxis werde nur
erfolgreich sein, wenn der Verbraucher das Produkt an der Kasse auch bezahlt. Im
Regal konkurriert der teure Regionalhonig mit dem preiswerteren Produkt im
Hofladen. Pfeifer berichtet, dass ein regionales Milchprodukt im
Lebensmittelhandel auch schon mal Platz für eine regionale Spezialität aus
Österreich machen musste.
Trotzdem bleibt dem Land kaum eine Alternative. Ist die
Mühle aus der Region einmal weg, dann ist es schon zu spät, weiß Pfeifer.
Professionalisierung
Professionalisierung heißt das Zauberwort. Genauso wie
das Marketing für den Export professionalisiert worden ist, muss auch die
regionale Marke professionell verkauft werden, erklärt Dr. Helmut Born,
Generalsekretär des DBV. Beide Wirtschaftsformen müssen nebeneinander Bestand
haben, denn jeder vierte Euro Umsatz in der Ernährungsindustrie wird im Export
verdient. Es gibt in deutschland Regionen, in denen die landwirtschaftlichen
Betriebe wegen ihrer Größe kein regionales „Andocken“ mehr erlauben.
Die Professionalisierung erstreckt sich auch auf die
Finanzierung. Die Genuss-Region und die Eifel-GmbH tragen sich mittlerweile selbst.
Das Regionalmanagement jedoch wird teilweise aus der Agrarpolitik finanziert.
Am Vorband der ersten legislativen Vorschläge zur GAP-Reform sieht die Zukunft
der zweiten Säule für die Entwicklung des ländlichen Raums nicht düster aus.
Aber das Budget wird kleiner. Daher müssten, so ein Ergebnis der Diskussion, auch
innovative Finanzquellen aus anderen Ressorts erschlossen werden.
Eines aber bleibt klar: Ohne regionales Handwerk hat
der ländliche Raum keine Chance.
Tourismus
Zuletzt hat der ostdeutsche Sparkassenverband1)
dem Landtourismus glänzende Aussichten beschert. Das Potenzial ist auch da: Einmalige
und authentische Angebote, persönliche Beratung und schöne Landschaften. Doch
die Akteure kennen auch die Schwächen. Dr. Frank Wetterich von der
Bundesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof listet auf: Meist sind
die Betriebe mit nur drei Ferienwohnungen zu klein. Sie haben nur ein
begrenztes Angebot und geringe personelle Kapazitäten. Zu klein ist auch das
Werbebudget, um zwischen Erlebnispark und Kreuzfahrtschiff zu bestehen.
Aus diesem Grunde hat die Bundesarbeitsgemeinschaf als
Träger der Landesverbände am 07. Juni dieses Jahres ein neues Portal2)
gestartet, auf dem sich Reisende im Vorfeld über Angebote informieren können.
Handwerk bietet goldenen Boden
„Handwerk hat goldenen Boden“ – Dieser alte Spruch gilt
heute nicht mehr so uneingeschränkt wie früher. Doch für den ländlichen Raum bleibt
das Handwerk eine tragende Rolle, erklärt Nikolaus Teves, Geschäftsführer der Handwerkskammer
Mannheim. „Handwerk bietet goldenen Boden“ - nicht nur für die Landwirtschaft.
Elektriker müssen alle elektrischen Installationen bis
hin zur Breitbandversorgung des ländlichen Raums durchführen. Die Vernachlässigung
des Handwerks hat nach Teves mittlerweile aber auch die Gemeinden erreicht. Oft
gelten Friseure und Kosmetiker nicht zum Handwerk. Dabei bieten genau solche
pflegenden und helfenden Leistungen das individuelle Wohlempfinden im Dorf.
Teves mahnt aber auch, dass Handwerk und
Regionalprojekte alleine nicht erfolgreich sein werden. Sie müssen in ein
Gesamtkonzept für die Entwicklung der Region eingepasst werden. So verliert ein
Anlagenbauer für Spezial-Klärwerke seine deutschen Kunden, weil sein Betrieb als
einziger in einem verblichenen Gewerbegebiet aushält. Die Kunden drehen um. Im
arabischen Raum hingegen finden seine Dienste Anklang, so Teves.
Das Gesamtkonzept Gewerbegebiet muss entwickelt werden,
damit eine „Perle“ aus der Region auch regionale Kunden findet. Die Tücke
steckt oft im Detail: Die Anlage eines Golfplatzes in einem Dorf wurde nicht
mit einem Hinweisschild gekrönt. Noch Jahre später könne man durch das Dorf
fahren, ohne von dem Golfplatz zu erfahren. Teves schließt mit dem Satz: „Guter
Wille und gute Absicht alleine machen noch kein Konzept.“
Förderinstrument als Hindernis
Florian Langguth von der wissenschaftlichen
Politikberatung „Sprint“ begreift Förderinstrumente als Produkte, die angeboten
werden. Analysen zeigen jedoch, dass es zu viele Förderprogramme gibt, die ineinander
verwoben sind. Das Stellen eins Antrages erfordert oft einen Aufwand, der oft
höher ist, als der Nutzen, der in Form von Fördergeld ausgezahlt werde. Viele
Fördersysteme sind Einzeltatbestände, die nur noch Spezialisten verstehen. Keck
fragt er: „Wer kauft Produkte, die er nicht versteht?“ Ein Grund, warum zum
Jahresende Fördermittel nicht vergeben wurden.
Eine Vereinfachung sollte sich auf Produkt- und
Prozessinnovationen beschränken. Ministerien könnten die Förderprogramme dann
„besser vermarkten.“ Dann erhöht sich die Wirkung der eingesetzten Gelder.
Akteure, Zeit und Finanzen
Der wichtigste Baustein der Regionalprogramme ist der
Mensch. Zu rund 90 Prozent trägt er nach Ansicht von Adalbert Kienle,
stellvertretender Generalsekretär im DBV, zum erfolg bei. Manch ein Akteur habe
sich mit dem Projekt ein Denkmal gesetzt, andere Projekte kamen nicht zustande,
weil die Menschen nicht mitzogen.
Mitunter erscheinen drei Jahre Förderung zu kurz, um
komplexe Regionalprojekte auszubauen. Da wird die Anschlussfinanzierung zum
Problem. Dr. Gerhard Fisch aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie will aber „Aktivieren statt Alimentieren“. Projekte müssen auf
Dauerhaftigkeit ausgerichtet werden.
Das zielt auf eine Effizienz der Förderung hin. Denn welche
Mittel in der neuen Förderperiode wirklich vorhanden sind, steht noch nicht fest.
Möglicherweise werden Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Nicht unbedingt
geografisch; es könnte auch ein thematischer Schwerpunkt wie die Mobilität im
ländlichen Raum sein, erläutert Dr. Fisch. Die EU bereitet sich auf einen neuen
Ansatz vor. „Strukturübergreifender Reformansatz“ oder „Staatenübergreifende
Partnerschaften“ sind im Spiel. Nach Ralf Wolkenhauer aus dem
Bundeslandwirtschaftsministerium, müsse man abwarten, was wirklich umgesetzt
werden kann.
Eines ist sicher: Das Agrarbudget wird kleiner. Die
Staatsverschuldungen lassen keine großen Sprünge mehr zu. Neue
Finanzierungsmöglichkeiten müssen gesucht werden. Auch das ist die Arbeit der
interministeriellen Arbeitsgruppe zwischen Wirtschafts- und
Landwirtschaftsministerium.
Lesestoff:
www.netzwerk-laendlicher-raum.de
www.genussregion.oberfranken.de
www.holzregion-bayerischer-wald.de
1) Tourismusbarometer
Auf www.demografietage.de werden unter anderem von der Handwerkskammer Mannheim Ideen, Projekte, Hinweise und Erfahrungen über die Entwicklung des ländlichen Raumes vor dem Hintergrund des demografischen Wandels aufbereitet.
Roland Krieg