Branchenkommunikation
Landwirtschaft
Die Semantik von Bauern und Verbrauchern
Als die Verbraucher noch alle Bauern waren, teilten sie die gleiche Sprache. Mit Beginn der Industrialisierung wandelten sich die Industriearbeiter und Dienstleister vom Selbstversorger zum Gebrauchskonsumenten. Die „Informationsasymmetrien“ über den Ernährungssektor wurden größer, wie Vera Hierholzer in ihrem Buch „Nahrung nach Norm“1) schreibt. Damals sorgten Margarine und der Brühwürfel für „Aufreger“ bei den Kunden. Und heute? Heute stehen ethische Befindlichkeiten wie das Tierwohl an erster Stelle in der Überflussgesellschaft, erläuterte Prof. Dr. Ulrich Nöhle von der Universität Braunschweig in diesem Jahr auf dem 3. Kongress für Lebensmittelsicherheit.2) Spricht der Bauer in seinem Arbeitsalltag noch von „Stück Vieh“ und Mortalitätsraten, erfreut sich der Verbraucher an „Yvonne“, der in Bayern ausgebüxten Kuh, die derzeit ihren Platz in den Tageszeitungen findet.
Viel Umwelt und Natur…
In einer Rede über Krisenkommunikation auf dem Jahrestreffen der Agrarjournalisten am Sonntag in Seddin bei Potsdam, sprach Dr. Michael Lohse, Pressesprecher des Deutschen Bauernverbandes (DBV), über die unterschiedliche Semantik von Bauern und Verbrauchern. Die Arbeits- und Lebenswelten von beiden haben sich getrennt. Umfragen zeigen, dass Verbraucher innerhalb der bäuerlichen Arbeit hauptsächlich an artgerechter Tierhaltung, Qualitätssicherung und Ernährungssicherheit interessiert sind. Themen wie Mineraldünger oder moderne Anbaumethoden bilden das Schlusslicht. Reportagen und Nachrichten aus den Bereichen Umwelt, Natur und Tierschutz fänden bei Redaktionen ein größeres Interesse, weil sich diese Themen besser „verkaufen“ lassen.
… wenig Alltag
So werden Themen heiß, aber unvollständig diskutiert. Bis vor wenigen Jahren wusste kaum ein Verbraucher, dass Ferkel kastriert werden, um den unerwünschten Ebergeruch zu vermeiden. Von der Ebermast, also dem vollständigen Verzicht auf die Kastration, ist die Praxis weit weg. Doch politisch schon für das Jahr 2018 beschlossene Sache. Lohse erklärt warum der „Skandal“ Ferkelkastration nicht zeitnah wie ein Skandal korrigiert wird: „Es gibt keine Alternative.“ Ab 2012 soll nur noch mit Betäubung oder nach Gabe von Schmerzmitteln kastriert werden. Und die Verbraucher? Blindverkostungen der Universität Kassel zeigten ein ernüchterndes Bild. Konsumenten zeigen keine Geschmackstendenzen für oder gegen die Ebersalami. Aber nach Testen der Ebersalami sinkt die Honorierungsbereitschaft, mehr Geld für den Tierschutz auszugeben.3)
Risikokommunikation
Demnächst beginnt mit täglichen Talk-Shows eine Flut an
Themen und Köpfen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Bundestagspräsident
Norbert Lammer kritisierte im Spiegel, dass dort politische Debatten nur
simuliert werden: „In Wahrheit benutzen sie Politik zu Unterhaltungszwecken.“4)
Medienjournalist Bernd Gäbler blickte im Stern5) auf die Zusammensetzung der Runden, die fast
immer die gleichen telegenen Köpfe mit markanten Sprüchen zeigten.
Die Landwirtschaft habe mit BSE ihre Unschuld verloren
führte Dr. Lohse aus. Vor dem Hintergrund, dass BSE in seinen Auswirkungen
schlimmer als AIDS ausgemalt wurde, hatte die Landwirtschaft mit einer
sachlichen Diskussion bereits verloren. Die Bauern und ihre Verbände müssten
sich der Risikodiskussion stellen, dürfen nichts verharmlosen, müssen das Thema
aber professionell angehen. „Skandale sind nicht nur ein Produkt der Medien“,
so Lohse. Aber sie vereinfachen die Themen.
Rolle der Konsumenten
Über die Jahre hinweg hat sich beim Verbraucher eine
Grundskepsis gegenüber der Landwirtschaft eingeschliffen. Dabei zeigen Studien,
so Dr. Lohse, dass die Konsumenten, die den Tag der offenen Tür auf Bauernhöfe
nutzen, auf Wochenmärkten kaufen und Landurlaub machen, weniger anfällig gegen
Krisenkommunikation sind.
Folglich kann der Konsument auch aktiv in die
Krisenkommunikation einsteigen und sich ein eigenes Bild machen. Gelegenheiten
gibt es in noch nie da gewesener Form. Anfänge müssen früh gelegt werden, damit
der Kontakt zwischen Verbraucher und Bauern wieder enger wird. Anfang August
besuchte Herd-und-Hof.de das Grüne Klassenzimmer der Agrargenossenschaft
Heinersbrück in Brandenburg, in dem Kinder den Betrieb, die Rekultivierung von
Braunkohletagebauen und den Naturschutz kennen lernen.6)
Lesestoff:
1) Vera Hierholzer:
Nahrung nach Norm. Regulierung von Nahrungsmittelqualität in der
Industrialisierung 1871 bis 1914. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft,
Band 190; Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2010; ISBN 978-3-525-37017-9;
57,95 Euro; Bericht auf Herd-und-Hof.de:
2) Food Safety Congress des
Handelsblatt in Berlin
3) Ebermast und
Zweinutzungshühner: Chancen für den ökologischen Landbau?
4) Spiegel.de am 19.03.11 www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,752005,00.html
5) Bernd Gäbler am 17. August 2011 im Stern: www.stern.de/kultur/tv/2-medienkolumne-zu-talkshows-gespraechsschauspiel-mit-fernsehnasen-1717267.html
6) Kita Kunterbunt bei der
Agrargenossenschaft Heinersbrück
Roland Krieg